SCARAB

Hintergrund

Gesteuerte Wiedereintrittskörper wie das Space Shuttle sind so ausgelegt, dass sie die mechanischen und thermischen Belastungen während des Abstiegs zur Erdoberfläche überstehen können. Andere Objekte, wie z.B. Raketenstufen und Satellitentrümmer treten unkontrolliert in die dichteren Atmosphärenschichten ein. Gewöhnlich verglühen diese Objekte während des Wiedereintritts, doch sehr schwere oder kompakte Bruchstücke können den Erdboden erreichen, wie dies bereits mehrfach der Fall beim Wiedereintritt von ausgedienten Raumstationen der Fall gewesen ist (Skylab, Kosmos 1686, Mir).

Bisher gingen diese Trümmer glücklicherweise nur über dünnbesiedeltem Gebiet herunter, doch für die Zukunft mit ständig steigender Zahl von Objekten im Weltraum und damit steigender Anzahl von möglichen Einschlägen auf der Erdoberfläche ist ein Werkzeug zur Vorhersage der Entstehung und Verteilung der Trümmer von unkontrollierten Wiedereintrittskörpern von großer Wichtigkeit. Dies gilt insbesondere für ausgediente Satelliten mit nuklearem Antrieb. Für Raumfahrzeuge mit zumindest teilweiser Steuerbarkeit kann solch ein Vorhersagewerkzeug Empfehlungen bezüglich der Wahl der Eintrittsbedingungen geben, falls das Objekt nach Beendigung seiner Mission seine Erdumlaufbahn verlassen und durch gezielt herbeigeführten Wiedereintritt möglichst vollständig zerstört werden soll.

Die Berechnung des Wiedereintritts eines Satelliten in die Erdatmosphäre ist physikalisch ein sehr komplexer Prozess. Eine vollständige mathematische Behandlung dieses Vorgangs wäre heutzutage allenfalls mit Großrechnern näherungsweise möglich. Um diesen Vorgang dennoch mit begrenzter Rechnerkapazität überhaupt behandeln zu können, sind stark vereinfachende Annahmen erforderlich. Dabei gibt es zwei Ansätze: 1. die real vorhandenen Ressourcen maximal zu nutzen, 2. noch weitere Vereinfachungen vorzunehmen, um sogar parametrische Studien durchführen zu können. Das Programm SCARAB verfolgt den ersten Ansatz.

SCARAB
esa - European Space Agency

Funktionalität

Das Programm SCARAB ("SpaceCraft Atmospheric Re-entry and Aerothermal Break-up") wurde entwickelt, um den Wiedereintritt eines Satelliten im Detail simulieren zu können. Programme zur Vorhersage des Verlaufs von Wiedereintrittsereignissen laufen im allgemeinen nach folgendem Schema ab: Zuerst wird von dem eintretenden Flugkörper ein Simulationsmodell erstellt, das die Geometrie, den strukturellen Aufbau und die physikalischen Eigenschaften mehr oder weniger detailgetreu abbildet. Die Genauigkeit der Modellierung hängt von dem verwendeten Programm ab. Dann werden die anfängliche Position und Geschwindigkeit sowie die Eigenbewegung (Rotation) vorgegeben und die Simulation gestartet. Nach Ende der Simulation werden die Ergebnisse ausgewertet.

In SCARAB kann ein Raumflugkörper sehr detailliert modelliert werden. Ein Modell wird baukastenmässig aus einfachen geometrischen Grundkörpern zusammen gesetzt, wie z.B. Kugel, Zylinder, Quader oder Kegel. Diese Grundkörper werden relativ zueinander so plaziert wie im realen Objekt. Durch Vorgabe einer Wandstärke und Zuordnung eines Materials erhalten die Grundkörper physikalische Eigenschaften, wie z.B. thermische (spezifische Wärmekapazität, Schmelzpunkt, etc.), mechanische (elastische und Brucheigenschaften) und Masseneigenschaften (Masse, Schwerpunktslage, Trägheitsmomente). Die Masseneigenschaften des Gesamtmodells werden automatisch aus denen der Grundkörper berechnet.

Mit dem vollständigen Modell kann die Simulation gestartet werden. Während der Simulation werden die verschiedensten Arten von Eigenschaften der Modells berechnet und abgespeichert. Im wesentlichen gibt es drei Arten von Eigenschaften: 1. solche, die sich auf das Modell als Ganzes beziehen, wie die maximale Oberflächentemperatur, die aerodynamischen Beiwerte, oder Umgebungsbedingungen, 2. solche, die sich auf die einzelnen Grundkörper beziehen, aus denen das Modell aufgebaut ist, wie mittlere Temperatur oder die individuelle Wärmelast, 3. lokale Oberflächeneigenschaften. Letztere werden über die physikalischen Eigenschaften von "Panels" ermittelt. Für die Simulation werden die Oberflächen der Modellgrundkörper noch einmal in kleine Dreiecke, die Panels, unterteilt. Für jedes dieser Panels wird während der Simulation die aerodynamischen und thermodynamischen Lasten berechet und die lokale Wärmebilanz bestimmt. So ist in jedem Simulationszeitschritt die komplette Verteilung verschiedener physikalischer Größen bekannt.

Die panelbasierte Simulation liefert die Möglichkeit einer lokalen Zerstörungsanalyse. Wenn ein Panel geschmolzen ist, hinterlässt es in der Oberfläche des zugehörigen Grundkörpers ein Loch. Durch dieses Loch kann die heiße heranströmende Luft u.U. in das Innere des Flugkörpers dringen und dort zu einer zusätzlichen Wärmelast führen. Sind genügend aneinander grenzende Panels geschmolzen, kann der Flugkörper auseinander brechen. Dies wird in der Simulation berücksichtigt. Die entstehenden Bruchstücke werden dann getrennt voneinander weiter berechnet, solange bis alle Bruchstücke entweder den Boden erreichen oder vollständig verglühen.

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